Olekseii, Olga, Sofia und Olekseii mit ihrer DAZ-Lehrerin Jana Piotrowski

Wie es vier jungen Menschen aus der Ukraine in Eutin ergeht

Eutin (aj-Reporter). Die Befangenheit ist allgegenwärtig: Ein Gespräch mit vier Jugendlichen aus der Ukraine ist kein Interview wie jedes andere. Was fragt man? Wie drückt man ehrliches Interesse aus, ohne Grenzen zu verletzen? Sofia, Olekseii, Olga und Olekseii – vier Jugendliche von insgesamt sechs, die sich am Eutiner Vossgymnasium einen neuen Alltag aufbauen und dabei doch nicht hinter sich lassen könne, was in ihrem Land Unsägliches geschieht. Kurz vor den Osterferien standen die ersten Mütter mit ihren Kindern vor Schulleiterin Tanja Dietrich: Lernen sollten die Jungen und Mädchen, das war den Frauen wichtig, die doch kaum erst vor Tod und Zerstörung geflohen waren. Das Kollegium handelte schnell, es Familien-Deutschunterricht in den Ferien, die DAZ-Klasse wurde eingerichtet. Alle sollen gut in die Klassen- und Schulgemeinschaft eingebunden werden, das ist das Ziel.

Sechs Stunden „Deutsch als Zweitsprache“ gibt der Stundenplan her: „Ich gucke immer, wo es Ressourcen gibt, die ich zusätzlich aktivieren kann“, erklärt Tanja Dietrich. Den DAZ-Unterricht gestaltet im Wesentlichen Jana Piotrowski. Dass die Pädagogin weit mehr ist als eine Sprachlehrerin für die Jugendlichen, ist offensichtlich. Im engen Kontakt ist Vertrauen gewachsen, während des Gesprächs verfestigt sich der Eindruck, einer eingeschworenen Gemeinschaft gegenübersitzen. Man gibt Acht aufeinander, fehlt einem ein Wort, weiß es die andere und die Lehrerin sitzt nah dabei, unaufgeregt, aber doch genau beobachtend und bereit, ihre Schüler*innen zu beschützen. Im Unterricht steht aktuell „Krabat“ als Easy-reader-Lektüre auf dem Plan: „Sie sind toll dabei“, lobt Jana Piotrowski. Ein Buch eröffnet gute Möglichkeiten sich auszutauschen und was die Grammatik anbelangt, ist man schon beim Konjunktiv angekommen. Die Stimmung in der Gruppe sei gelöst und offen: „Die Momente, in denen gelacht wird, lasse ich sie richtig auskosten“, so die Lehrerin. Denn natürlich sind da auch die Augenblicke, in denen die bedrückenden Gründe, aus denen die Mädchen und Jungen nach Eutin gekommen sind, unausweichlich alles andere überlagern. Sorgen um den Vater, Freunde, das Zuhause – die Bürde scheint kaum zu tragen.

Aber das ist auch immer wieder Leichtigkeit, sie schmieden Pläne, sind entschlossen, sich ihre Zukunft nicht stehlen zu lassen. Sofia und Anja, die beim Gespräch nicht dabei sein kann, lernen für ihr B1-Sprach-Zertifikat: „Die ziehen wirklich durch“, sagt Jana Piotrowski anerkennend. Die Jungendlichen haben starke Vorbilder an ihrer Seite: Ihre Mütter geben viel Entschlossenheit und Lebensmut in das Ringen um so etwas wie eine Normalität für ihre Kinder: „Zu erleben, wie zum Beispiel zwei der Frauen Wohnungen gefunden und mit ganz viel Energie eingerichtet haben, war toll“, erzählt Tanja Dietrich. Es ist dieser Widerstand dagegen, dass der Krieg zur alleinbestimmenden Größe wird, die die Schulleiterin berührt: „Ich habe ganz großen Respekt vor dieser Kraft“, sagt sie. es sind wertvolle Verbindungen, die im letzten Jahr gewachsen sind. Von „Bereicherung“ mag dennoch niemand sprechen, das wäre zynisch und würde den Grund, der die Menschen zwingt, ihre Lieben und ihre vertraute Umgebung zu verlassen, aus dem Fokus nehmen: Sie sind hier, weil Krieg herrscht: „Es stehen schlimme Schicksale dahinter“, führt Jana Piotrowski mit Nachdruck aus. Ihr ist das sehr bewusst, an jedem einzelnen Tag. Auch, wenn manche die Nachrichten nicht mehr hören, die Bildern von Zerstörung und Tod nicht mehr sehen wollen, der Lehrerin sind sie gegenwärtig: „Die Nachrichten kann ich abstellen, die Gedanken an meine Schülerinnen und Schüler nicht. Und das ist auch gut so, denn so sehe ich immer vor mir, dass es Menschen sind, die unter diesem Krieg leiden.“

Noch etwas wird klar, wenn man Sofia, Olga, die beiden Olekseiis und den anderen ins Gesicht schaut. Sie sind vor dem Krieg geflüchtet, aber sie sind so viel mehr als das Label „Flüchtling“, dass ihnen der Angriff auf ihr Land aufgezwungen hat. Sie sind junge Menschen, haben Träume, Wünsche, Freunde, Lieblingsfächer und Lieblingsorte, Hobbies. Olga mag die Schule, am liebsten Mathe und Physik, wenn der Unterricht aus ist, holt sie ihre kleine Schwester aus der Kita ab. Sofia würde gern in Eutin wohnen statt weitab im Dorf. Eine Katze möchte sie haben und einmal Kunst studieren. Das ist auch das Lieblingsfach von Olekseii, der Gitarre spielt und gern am See ist. Sein Namensvetter schwimmt gern, ist im Kurs in der Eutiner dabei. Boxen mag er auch und Computerspiele. Wenn er davon erzählt, grinst er nett. Und kurz ist er ein ganz normaler Junge. Aber ein Stichwort genügt und sofort ist die Gewissheit wieder da: Aus der Ukraine zu kommen, bedeutet seit einem Jahr, aus dem Krieg zu kommen: „Besonders für ältere Menschen ist schwierig, sich an alles hier zu gewöhnen“, meint Sofia. Aber auch, wenn sie manches schneller lernen als die Mütter, bleiben die am Ball. Zum Abschluss des Gespräches teilt Olga eine kleine Anekdote aus ihrer Familie: Die Mama sitzt am Tisch über den Hausaufgaben, sie sucht einem richtigen Wort. Die kleine Schwester muss nicht lang überlegen: „Achso, ‚aufräumen‘, das kenne ich aus dem Kindergarten!“